Letztes Jahr postete ich ein Bild auf Instagram, welches eine politisch motivierte Aussage enthielt und die Schere zwischen Likes und Hate öffnete sich, in einem für mich sehr großen Rahmen. So löschte ich die Kommentare und ließ das Bild online. Jetzt ist das Thema relevanter denn je. Es geht um kulturelles Erbe, völkische Traditionen und das Schweigen um ein Thema das negativer nicht konnotiert sein könnte. Es geht um Nazis und heidnische Mythologie.
Nationalsozialismus und germanische/nordische Mythologie
Meinen ersten bewussten Kontakt mit der nordischen Mythologie hatte ich nicht etwa durch die Sagen der alten Götter, sondern weil eine rechtsextreme Rockergruppe in den Medien war und man deutlich Thors Hammer und Odins Namen auf Arme tätowiert, Lederjacken gestickt und T-Shirts gedruckt sah. So geht es nicht nur mir, sondern den meisten Menschen unserer Gesellschaft, denn die Nazis haben nicht nur die Jahrtausende alte Swastika für sich umgedeutet, sondern missbrauchen auch systematisch das kulturelle Erbe vorchristlicher Völker. Sie laden die vorchristlichen religionen rechtspolitisch auf und das schon seit einem Jahrhundert.
Eigentlich ist das allgemein bekannt, weswegen die meisten alles, was mit heidnischer Mythologie zusammenhängt, automatisch in eine rechtsextreme Ecke stellen, außer Marvel macht daraus einen coolen Actionfilm der sich der Charaktere, Symboliken, Namen und Welten bedient um daraus ein fantastisches Universum voll Magie und Mythologie zu schaffen das nichts mit Rechtsextremismus und Nazis zu tun hat.
Doch was, wenn man sich aber nicht nur wegen Marvel mit den Wikingern und ihrer mutmaßlichen Kultur und der daraus neu interpretierten Ästhetik befasst? Was wenn man, wie ich, Wikinger-LARP betreibt, sich intensiv mit den Mythen der uns bekannten Geschichte (die weit über Serien wie Vikings hinaus geht) und dem Brauchtum interessiert? Was wenn du das alles magst, aber Nazis und konservative Traditionalisten zum Helheim nicht leiden kannst?
Nun, dann bleibt einem nicht viel, außer sich deutlich gegen Rechts zu positionieren, denn die Gefahr, dass man in eine weichbraune rechtsradikale Ecke gestellt wird ist groß und Realität. Sie ist so real, dass die Menge an über diese Thematik Schweigenden größer ist als jene, die darüber reden, denn die Konsequenzen der rechten Bewegung (besonders im Netz) werden gefürchtet. Aber können wir uns das noch leisten?
Die Instrumentalisierung der heidnischen Mythologie durch Rechtsextremisten, zur Unterstützung der fiktiven Überlegenheit von Menschenrassen aufgrund von Genetik, ist wissenschaftlich belegt. Es gibt viele Texte darüber, wie im nationalsozialistischen Kontext Runen missbraucht, Götterbilder idealisiert und Kultur radikalisiert werden, um sich mit den Menschenverachtenden Ideologien zu identifizieren, und daran hat sich über die letzten Jahre nichts geändert. Das von den Nazis geprägte germanische Bild, welches über tatsächlichem heidnischen Kulturgut schwebt und zur Identifizierung von Rechten genutzt wird ist im 19. und 20. Jahrhundert von ihnen erfunden und etabliert worden. Sie nennen es neuheidnisch, feiern alte nicht-christliche Feste wie Sommerwenden und Jul, verehren Götter und nennen sich Wotanisten oder stellen ihren Heidengott Odin gegen den Juden Jesus.
Für mich änderte sich mein Blick auf die Thematik erst, als ich mich dafür interessiere, mich informierte, abstrahierte und mich jetzt auch wehre. Doch die Korruption sitzt tief, sie suppt durch alle Schichten unserer Wahrnehmung und viele von uns sind damit aufgewachsen. Die Grenzen sind verschwommen und es ist viel leichter darüber zu schweigen als darüber zu sprechen, und nichts sehen zu wollen anstelle aufzuzeigen, dass es hier ein Problem gibt. Hier kann man genauer nachlesen wie und wieso die heidnische Kultur dafür ausgenutzt wird.
Moderner Rechtsextremismus und völkischer Konservatismus
Rechtsextremismus ist nämlich weitaus unterschwelliger in unserer Gesellschaft verankert als wir wahrhaben wollen. Wenn man sich den ganzen Tag in einer aufgeklärten, modern denkenden, akzeptierenden und offenen Internetbubble bewegt, dann ist man überrascht davon wie konservativ toxisch viele andere Bubbles sind. Es scheint, als wäre Tradition und Vergangenheit der Nährboden für Fremdenfeindlichkeit und Rassentheorien, und es stört scheinbar auch nicht, da die Nische zu klein wirkt.
Auf ein konkretes Beispiel wurde ich durch den Hinweis einer bekannten Instagrammerin aufmerksam. Jene sprach über einen Account welcher tolle, stimmige, finstere, mysteriös anmutende Bilder veröffentlicht, dazu deutsche Autoren zitiert oder Runen benennt. Die Inhalte die dieser Account produziert sind auf den ersten Blick nicht verwerflich. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass es die Accounts denen derjenige selbst folgt und wen derjenige Inhalte kommentieren lässt. Darunter Burschenschaften, Kunstaccounts und Historienaccounts die NS-Inhalte posten (natürlich nur rein historisch und nicht ideologisch sarcasm), rechte Meme-Accounts sowie rechts-tolerierende Privatpersonen. Das sieht man nicht auf den ersten Blick und kaum jemand macht sich die Mühe derart genau nach solchen schwarzen Schafen zu suchen. Sobald es aber deutlich wurde, dass derjenige sich damit identifiziert fiel mir auf, dass diese Person auch Schmuck mit Runen und Symbolen trägt, die von Nazis idealisiert und von modernen alternativen Rechten benutzt werden um sich der konservativen Bewegung zugehörig zu zeigen (die Sowilo sowie die Othala Rune). Die neuen Rechten verdrehen Worte und nutzen Sprache, Geschichten und Bilder um ihre verachtenswerten Ideen zu streuen, die sie oft auch selbst aufgrund dessen glauben wollen. Das lässt sich in diesem Artikel auch noch einmal besser nachvollziehen.
“Neue heidnische Bewegung” nennen sie sich oft und verschleiern ihre Zugehörigkeit zu rechtsextremen Gruppierungen mithilfe scheinbar unschuldiger Heimatliebe und Volksnähe. Sie sind niemals direkt sondern indirekt, locken mit Nettem und zeigen ihre Fratze nur schleichend. Es beginnt nicht mit der Ausgrenzung anderer Menschen, sondern mit einem Kompliment an schöne blauen Augen, tolle blonde Haare, an Mut, Stärke, Kraft und Ehre. Prinzipien, auf die vermutlich alte Vielgötterglauben aufgebaut waren und in deren Licht sich Nazis gern stellen, weil sie sonst nichts haben, was sie leuchten lässt. Allerdings ist diese zurechtgelegte und sehr selektive Art der Fundamentalisierung von Religion im eigenen politischen Sinne nicht ausschließlich etwas, dem sich konservative Rechtsradikale zugehörig fühlen, und die AfD spricht ein viel moderneres Nazibild an. Trotzdem sollte man vorsichtig mit jedem sein, der sich konservativ heidnisch-völkisch gibt und sich nicht eindeutig gegen Rechts positioniert.
Wenn Schweigen zu Zustimmung wird
Das ist nicht als Generalverdacht gegen die zu verstehen, die sich selbst dem heidnischen Kulturgut hingeben, sondern eine Mahnung zu weniger Naivität im Umgang mit diesen Grenzthemen. Gerade wenn man geschichtliches Interesse und auch esoterisches Interesse an diesen Themen hat, steht es in der eigenen Verantwortung dafür zu sorgen, nicht mit Rechtsextremisten in eine Ecke gestellt zu werden.
Wir können es uns nicht mehr leisten darüber zu schweigen oder uns davon fern zu halten. Besonders wenn man nicht in eine rechte Ecke gestellt werden will. Wir müssen einsehen, dass wir uns den Luxus des Schweigens nicht länger leisten können, und je mehr man sich gegen Rechts stellt, desto eher werden wir wahrgenommen und zeigen auch, dass nicht jeder der Runenkenntnisse hat ein Nazi ist. Nicht jeder, der die alten Mythen und Göttergeschichten mag, idealisiert Odin blind.
Etwas, das mir nach dem Veröffentlichen des Instagram-Posts vorgeworfen wurde ist, dass ich etwas, das eigentlich nicht politisch sein sollte (heidnische Religion), für meine eigene Agenda (mehr Toleranz), missbrauchen würde. Es wurde in Kommentaren versucht mich zu diskreditieren, zu beleidigen und zu diffamieren. Mir wurde der Vorwurf gemacht, ich würde das Erbe der Götter beleidigen, indem ich ihnen moderne Prinzipien aufladen würde. Vor allen Dingen hätte ich keine Ahnung und wäre eine Schande für die gesamte heidnische Community. Ich gab dem Shitstorm nach, indem ich darauf reagierte und es gab keine Unterstützung anderer, da meine Reichweite den dicht vernetzten rechten Idealisten nichts entgegenzusetzen weiß. Die Angst vor den Konsequenzen sind realistisch und das, was konservative, völkische, traditionalistische, heimatliebende Nazis tun, funktioniert so lange wie wir es zulassen.
Es ist nicht verwerflich seine Heimat zu lieben, die Kultur in der man aufwuchs wertzuschätzen und erhalten zu wollen, jedoch ist es verwerflich sie unreflektiert durchzuboxen und aufrechterhalten zu wollen ohne sie an den Zeitgeist anzupassen. Wenn wir Grimms Märchen lesen, müssen wir die Stellung von Frauen, Kindern, Männern und auch die verwendeten Worte hinterfragen. Wenn man sich auf christliche oder heidnische Werte beziehen will, dürfen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gegenüber LGTBQ+ und fehlende Gleichberechtigung aller Geschlechter niemals Teil dessen sein. Nicht alles was alt ist, ist gut, und man darf sich dem Irrglauben verfallen es gäbe eine unbeeinflusste germanische Kultur. Unsere Kultur ist beeinflusst von so vielen anderen Kulturen, dass jeder Anspruch an eine “reine” germanische Kultur basierend auf vorchristlichen Kulturen absoluter Schwachsinn ist.
Meiner Ansicht nach sind sich die meisten der Influencer sich nicht bewusst wie wichtig es ist nicht mehr zu schweigen, Position zu beziehen und diese auch zu verteidigen. Es ist nicht mehr selbstverständlich gegen Nazis zu sein. Ich bin der Meinung es liegt in unserer Verantwortung mit den Menschen, die man in seiner Followschaft hat, darüber zu reden, dass man die Ansicht rechtsextremistischer Menschen nicht teilt und auch, warum man das nicht tut, denn die Gründe können so unterschiedlich sein und meiner Ansicht nach haben wir den Luxus nicht mehr darüber zu schweigen und hiermit grenze ich mich sehr deutlich ab. Ich bin dankbar für jeden der das ebenfalls tut.