Ich war schon immer länger als die anderen. Im Kindergarten war ich gut einen Kopf größer als die anderen Kinder. Auf Bildern meiner Einschulung gehen mir meine Klassenkameraden gerade bis zur Schulter und in der Pubertät, wo die Jungs einen Wachstumsschub bekommen und den Mädchen über den Kopf wachsen, blieben sie alle kleiner als ich. Heute bin ich 1,91m groß. Manchmal fühle ich mich zu klein, bin oft größer als die meisten und meine Femininität erkämpfe ich mir jeden Tag.
Unsere körperliche Wirkung auf die Menschen um uns herum und die von Ihnen zurückgespiegelte Wahrnehmung prägen unser Selbstbild. Wenn man schon als junges Mädchen deutlich anders aussieht als die anderen Gleichaltrigen, dann bemerken das nicht nur die Menschen um einen herum sondern auch man selbst: Manchmal mehr, manchmal weniger, meistens im direkten Vergleich. Irgendwann beginnt man dann auch zu verstehen was die anderen eigentlich an einem bemerken und was es bedeutet, was bemerkt wird. Man beginnt selbst zu bemerken wenn man anders ist.
Ich wurde als burschikos beschrieben. Mir wurde gesagt, ich sei ein Kumpeltyp. Meine Kleidung war meist aus der Abteilung für Männer, aber nicht weil es eine stilistische Entscheidung war, sondern weil es für junge Frauen und Mädchen in meiner Körpergröße oft keine passende Kleidung gab und gibt. Hosenlängen für Frauen gehen im regulären Einzelhandel selten über 34 hinaus und Oberkörper sowie Ärmellängen sind frustrierend kurz. Ich erinnere mich noch gut an das erste Mal, dass ich eine Hose bekam, die für junge Frauen war und mir irgendwie passte. Ich war 14, der Reißverschluss war am Steißbein und sie saß bis auf den weiten Bootcut am Unterschenkel sehr eng. Die wenigsten Frauen finden es leicht unter den gängigen Kleidergrößen Kleidung zu finden, aber es gibt einen Unterschied zwischen “nur schwer Kleidung finden” und überhaupt keine Kleidung zu finden, in einer Gesellschaft, die keine Kleidung für einen herstellt. Eigentlich war die Hose ein, zwei Zentimeter zu kurz, aber ich fühlte mich feminin, primär weil Miss Sixty von den coolen Mädchen in meiner Klasse getragen wurde und ich zu ihnen gehören wollte; weil es normal ist dazu gehören zu wollen.
Natürlich ist da noch viel Anderes in das man als große Frau nicht hinein passt und bei dem man Glück hat, wenn jemand es wichtig genug findet es für große Männer zu entwickeln, weil dann gibt es zumindest die Chance, dass es passen könnte. Denn es ist eine Männerwelt in der wir leben, und nicht alle Männer sind groß, auch wenn es zum Ideal gehört.
Das biometrische Merkmal des Großseins ist von Stereotypen besetzt die primär Männern vorbehalten sind. Es wird allgemein mit mentaler oder körperlicher Stärke, Aggression, Dominanz, Führungsanspruch, Mut und Risikobereitschaft aber auch Gefühlskälte assoziiert. Weiblichkeit steht eher in Verbindung mit Zartheit, Sanftmut, Einfühlsamkeit, Zurückhaltung, Niedlichkeit, Schönheit, Geduld und Anpassungsfähigkeit. Für die meisten Menschen strahlt mein Körper keine Zartheit, Niedlichkeit oder Zurückhaltung, sondern körperliche Stärke und Dominanz aus. Ich wirke auf die meisten Menschen bedrohlich, hart, präsent und männlich. Es muss nicht mal bewusst geschehen, meistens ist diese Zuordnung unterbewusst. Meine körperliche Erscheinung ist für viele ein wandelnder Widerspruch und dieser Widerspruch provoziert unterschiedliche Reaktionen und die meisten haben nichts mit dem Menschen zu tun der ich bin, sondern dem, was sie in meine Erscheinung projizieren. Das sorgt für einen starken Unterschied zwischen der Eigenwahrnehmung und der Fremdprojektion, welcher schließlich in einer unangenehmen Dissoziation endet. Irgendwann fühlt man sich nicht mehr wohl.
Die Außenerwartung an mich prägt mich in meinem Leben oft männlich. Ich hatte lange ein entrücktes Bild vom Frausein im Bezug zu mir selbst und tat mich schwer damit zu verstehen, wieso die einen sich über mich lustig machten, mich nicht feminin genug fanden, und die anderen mir typische männliche Fähigkeiten nicht zutrauten oder sie mir absprachen. Ich begann typisch Weibliches abzulehnen und eignete mir Männliches an, weil es zu den Erwartungen passte die man bewusst oder unterbewusst an mich stellte, und die mir auch Spaß machten. Ich wollte wie mein Papa Motorrad fahren und Rockmusik hören. Ich wollte Kart fahren wie meine Freunde und Bier trinken, Feuer machen, Bäume hoch- und runter klettern. Ich liebte Barbies und im Zelt schlafen, auf Pferden reiten und Wasserschlachten, Bilder malen und durch den Wald ziehen. Ich war nicht wie die Prinzessinnen in Disneyfilmen sondern wie Ronja Räubertochter, doch am Ende war da immer wer, der mir sagte “Du kannst nicht so schnell/hoch/weit wie die Jungs. Das ist nicht schlimm.” Doch das war es. Heute weiß ich, dass es zum kotzen war, wenn mir jemand die Sachen die ich so gern mochte nicht zutraute weil ich keinen Penis habe. Es ist schwer seine Identität zu finden, wenn man der gesellschaftlichen Erwartung nicht entspricht.
Es braucht Erfahrung, um den Mut zu haben zu hinterfragen was einem das eigene Geschlecht bedeutet und wie man es empfindet. Was ist es denn, was es an dir ausmacht? Wie lege ich die gesellschaftliche Erwartung an allgemein geprägte Eigenschaften ab oder bringe andere dazu mich zu sehen wie ich mich definieren möchte? Woran machen wir unser Geschlecht überhaupt fest und warum maßen wir uns an, anderen eines zuzuweisen?
Denn egal wie man sich fühlt, man wird am Ende doch von außen gelesen und gewertet. Das ist etwas, das man als große Person schnell lernt, denn im Angesicht der unversteckbaren Realität der Körpergröße projizieren Menschen ihre eigenen Erwartungen daran. Wie oft meine Körpergröße glorifiziert und sexualisiert wurde kann ich kaum zählen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man mir nicht sagt wie groß ich bin, dass man meine Größe nicht wirklich wahrnimmt oder man sich niemals vorstellen könnte so groß zu sein wie ich. Es gibt auch jene, die meine Körpergröße lieben weil sie selbst gern größer wären und sie idealisieren oder sich in meiner Nähe besonders wohl fühlen, da sie sich neben mir klein fühlen oder hohe Schuhe tragen können ohne die größte Person zu sein, und die Schuhe sowie die Last des Großseins mit ihnen einfach wieder ablegen zu können. Männer wollten mich unzählige Male erobern, weil eine Frau meiner Größe so etwas wie ein Preis zu sein scheint, mit dem sich besonders kleine Männer gern schmücken. Als hätten sie einen Berg bestiegen. Außerdem gibt es viele Kinks die mit der in Körpergröße gesehenen Dominanz zusammen hängen, und Männer gehen sehr selbstverständlich und ungefragt mit dem Anspruch an diese Dominanz zu ihrer eigenen Befriedigung um.
All das sorgt dafür, dass manche Sorge haben, ihren Töchtern diese Körpergröße aufzubürden. Meine Mutter hat viel dafür getan, mich darauf vorzubereiten wie das Leben für mich, als sehr große Frau, sein wird, denn mit 1,85m ist sie in ihrer Generation außergewöhnlich groß, wie ich es für die Meine heute bin. Ich erinnere mich an einen Moment in der Grundschule, als eine Frau, die größer als meine Mutter war, an uns vorbei ging und meine Mama sagte, sie würde niemals so groß sein wollen wie sie. Mit dem Wissen um all die großen und kleinen Schwierigkeiten ist das vorhersagen meiner Körpergröße Teil meiner Jugend gewesen. Mein linker Mittelhandknochen wurde geröntgt um meine finale Größe vorherzusagen (“Sie wird auf keinen Fall größer als 1,81m”) und ich erinnere mich auch an ein Gespräch bei meinem Kinderarzt zu dem ich ging, weil ich darauf hoffte, dass er mir irgend eine Tablette geben könne, damit ich nicht noch größer werde. Er zeigte mir den Verlauf meiner Wachstumskurve und schätzte das ich zwischen 1,85m und 1,90m groß werden würde. Ich weiß noch, dass sich in meinem Hals ein Kloß bildete, und in mir Tränen empor stiegen.
Jeder Millimeter schien mir zu viel. Ich habe mir so oft angehört, dass man mit meiner außergewöhnlichen Körpergröße als Frau nicht glücklich werden könne. Ich hatte Angst, dass mein Leben zu Ende ist bevor es begonnen hat. Dass ich keinen Mann finden würde, der größer ist als ich, keine Hose und kein Paar Schuhe mir jemals passen und da saß mein Kinderarzt, der mir die Tablette nicht geben wollte, weil sie mein Krebsrisiko aufgrund der enthaltenen Hormone, die mein Wachstum um ein zwei Zentimeter oder Millimeter hemmen würden, so stark steigen würde, dass es das Risiko seiner Ansicht nach nicht wert war. Heute bin ich ihm dafür sehr dankbar, denn meine Körpergröße hat mir mehr ermöglicht als vereitelt. Heute würde ich keinen Zentimeter meiner Körpergröße aufgeben.
Denn ich habe mir beigebracht, dass ich nicht der Widerspruch bin, den Menschen in mir sehen wollen. Ich definiere meine Weiblichkeit und bestimme welchen Erwartungen ich entsprechen will und welchen nicht. Auch wenn es vielen wichtig ist, Menschen in dem binären System zuordnen zu können, muss ich nicht dem entsprechen was andere vordefiniert haben. Ob ich Jeans, Pullover mit Heels und knallroten Lippen oder ein Kleid mit Doc Martens und Lederjacke trage, bricht sich nach meinen Regeln, denn gesehen werde ich immer, und selten vergisst oder übersieht man mich. Alles was ich bin ist feminin und weiblich weil ich sage das es so ist. Ich habe verstanden, dass ich mich nicht verstecken muss, sondern gesehen werden will.
Es ist außerdem lange überfällig, dass wir klassische Geschlechterrollen aufbrechen und die Vielfalt des Spektrums erforschen, welches unsere moderne Gesellschaft uns zur Verfügung stellt. Dazu gehört auch, dass wir das kritisch hinterfragen, was wir mit Geschlechterrollen im Bezug auf Körper gelernt haben und eventuell einsehen, dass jeder Mensch mit seinem Körper tun und lassen kann was ihnen beliebt. Sich mit knalligen Farben schminken, die Fingernägel künstlich verlängern, die Beine niemals rasieren und Perlen in den Bart flechten. Wir dürfen stark sein, weich, hart und muskulös wirken. Ob ich ein Kind oder ob ich kein Kind kriegen will. Brüste und Arsch vergrößern, Fett abpumpen, Bier und Wein trinken, Whisky trinken und Zigarren rauchen während man auf einem Pferd sitzt und High Heels trägt. Wir dürfen Single, verheiratet, bi-, poly-, homo-, hetero- und asexuell sein so viel wie es geht. Diversität ist der Schlüssel, und in dieser diversen Welt sind Frauen auch groß und klein, mehrgewichtig und weniggewichtig, feminin, maskulin, androgyn, behindert und nicht-behindert, vor allem aber sichtbar.
Egal wer ihr beschließt zu sein: Bestärkt andere, die ebenfalls beschlossen haben zu sein, und lasst euch nicht in Schubladen stecken, steckt andere nicht in Schubladen sondern empowert alles was sie sein wollen. Zeigt Ihnen ihre Schönheit, wie begehrenswert sie sind und empowert einander.
Falls es Fragen gibt, oder ihr mich erreichen wollte tut das gern über Twitter oder Instagram! Ich freue mich von euch zu hören. Inspiriert hat mich zu diesem Post dieser Instergram-Post, sowie die zahlreichen wundervollen Frauen, die ich in meinem Leben habe treffen und kennenlernen dürfen.